Mr. Schweizer Tafel macht keinen Dienst nach Vorschrift
Ein bewegtes Leben hat Andres «Andi» Landert zur Schweizer Tafel gebracht. Als er in Basel auf Tour war, wurde er stets von allen Seiten freudig begrüsst: Denn er verteilte nicht nur Essen, sondern knüpfte Kontakte mit den Menschen, die er dabei traf.
«Ich sehe die Arbeit der Schweizer Tafel so: Freunde, wie zum Beispiel der Detailhandel oder Restaurants, geben Waren, die sie nicht mehr verkaufen können an die Schweizer Tafel weiter. Die Schweizer Tafel verteilt sie an weitere Freunde, das heisst an die Institutionen, und so kommen sie schliesslich bei Freunden, den Bedürftigen, an.» Die Einstellung von Andres Landert schimmert in diesem Satz, den er über die Schweizer Tafel sagt, durch.
Bis zu einem Herzinfarkt im Juli 2020 war er täglich auf Tour für die Schweizer Tafel in Basel. Dabei betrachtete er nicht nur das Verteilen von Nahrungsmitteln als seine Aufgabe, sondern auch das herzliche aufeinander Zugehen und Kontakte knüpfen. Heute kann Andi zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf Tour gehen. Trotzdem schaut er regelmässig bei den sozialen Institutionen und Gebern wie zum Beispiel Supermärkten und Restaurants vorbei und fühlt den Puls, ob alle Seiten in der Zusammenarbeit zufrieden sind. Er werde inzwischen auch «Mr. Schweizer Tafel Basel» genannt, erzählt er.
«Wie herzlich ihn die Leute begrüssen, ist mir sofort aufgefallen, als ich ihn einmal auf einer Tour begleitet habe», sagt Michele Hostettler, Geschäftsleiter a.i. der Schweizer Tafel. «Überall hiess es, ‚Hallo Andi! Schön dich zu sehen‘.» Landert sei einer, der mit vollem Einsatz dabei sei und nicht bloss Dienst nach Vorschrift mache. Und er kümmere sich auch um die Mitarbeitenden. Vor allem den Jüngeren sei es wichtig zu vermitteln, dass sie beim Transport der Lebensmittel auf ihren Körper achtgeben müssten.
Schicksalsschlag und Justizvollzug
Es war ein bewegtes Leben, das Andi 2019 im Rahmen einer Wiedereingliederung nach einer therapeutischen Massnahme zur Arbeit bei der Schweizer Tafel führte. Er beginnt seine Erzählung mit etwas Positivem, einer Liebesgeschichte: 1991 hat er seine Frau kennengelernt, eine Thailänderin, die seit dem Alter von acht Jahren in der Schweiz gelebt hat. Sie wohnten gemeinsam eine Weile in Thailand, kehrten zurück in die Schweiz und haben zwei Töchter.
2006 verstarb Andis geliebte Frau. Ins Detail möchte er nicht gehen, macht jedoch klar, dass es sich um einen nicht natürlichen Tod gehandelt hat. Dieser Schicksalsschlag warf ihn völlig aus der Bahn. Später wurde ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. «Ich hatte dann einen Ausraster und habe ein Delikt begangen», erzählt er.
Nach dieser Tat habe er auf keinen Fall in die offene Massnahme gewollt: «Es war wichtig, dass man mich versorgt. Ich wollte mich von der Welt zurückziehen», erinnert er sich. Er absolvierte seine Massnahme unter anderem in einer therapeutischen Abteilung einer geschlossenen Vollzugseinrichtung. Oft habe er an sein Opfer gedacht und es nicht vertragen, wenn seine Mitinsassen keine ehrliche Reue für ihre eigenen Taten zeigten.
Buddhistischer Grundsatz
Am Ende der Massnahme war ein Arbeitseinsatz vorgesehen. Andi recherchierte im Internet, wo er mithelfen könnte, und wurde auf die Schweizer Tafel aufmerksam. Am gleichen Tag sah er ein Fahrzeug der Schweizer Tafel mit dem Aufruf «Wir suchen Freiwillige». Er ist überzeugt, dass dies kein Zufall war. Als er bei der Schweizer Tafel anfing, sei ihm erst bewusst geworden, wie viel Nahrungsmittel in der Schweiz weggeschmissen würden. «Hier landen Säcke voll Reis im Müll, während sie im Slum in Thailand um jedes Korn kämpfen», meint er kopfschüttelnd.
Andres Landert hat bei der Tafel einen Ort gefunden, wo er die Grundsätze seines buddhistischen Glaubens leben kann. «Der Buddhismus hat mich gelehrt, dass ich nicht auf Dankbarkeit warte. Ich helfe, weil es richtig ist», sagt er. Der Grundsatz «Hilf deinem Nächsten» sei aber nicht nur in seinem eigenen Glauben wichtig, sondern die Essenz aller Religionen. «Ich wünschte mir, mehr Menschen würden auch danach leben», seufzt er.
Kein Dienst nach Vorschrift
Auf den Verteil-Fahrten hielt Andres Landert stets die Augen und Ohren offen. Wenn er neben der Strasse einen Obdachlosen sah, den er kannte, gab er diesem etwas zu Essen oder in der Sommerhitze einem älteren Mann eine Flasche Wasser. Während der ersten Welle der Pandemie habe er auch mal einem Pöstler ein Schoggi-Stängeli aus dem Auto gereicht, als Dankeschön für seine wichtige Arbeit. Eben nicht nur Dienst nach Vorschrift.
Genau das schätzt Tafel-Leiter Michele Hostettler an Andi. «Weil er die Menschen kennt, sieht er, wenn jemand etwas braucht und macht auch mal jemandem eine Freude.» Ein Nebeneffekt seiner freundschaftlichen Art sei auch, dass gewisse Leute, die sich sonst schämen würden Essen anzunehmen, sich von Andi bestärkt fühlten sich bei einer Institution zu melden.
Die Schweizer Tafel Region Basel ist inzwischen zu einer Familienangelegenheit geworden. Andis ältere Tochter hat hier letztes Jahr eine freiwillige Berufsintegration erfolgreich absolviert. Dies, nachdem sie eine landwirtschaftliche Lehre wegen einem Unfall abbrechen musste. Über ihre Erfahrung meint er: «Der Einsatz für die Schweizer Tafel hat ihr extrem viel Selbstvertrauen gegeben. Aber es hat sie auch traurig gemacht zu sehen, wie schlecht es manchen Leuten geht.»
Die Schweizer Tafel als «Fächer»
Die Arbeitsintegration, wie sie Andis Tochter absolviert hat, ist Teil des «Fächers», wie er es nennt. Die Schweizer Tafel wirke auf vielen Ebenen. Sie gebe Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen eine Chance auf einen Wiedereinstieg ins Berufsleben. Zweitens rette sie Lebensmittel und drittens helfe die Tafel Bedürftigen. «Man darf ruhig auch mal erwähnen, dass dadurch auch die Staatskasse entlastet wird.»
Die Begeisterung Andis für die Schweizer Tafel ist gross. Es ist ihm anzumerken, dass er gerne noch für sie arbeiten würde, aber durch seine gesundheitlichen Schwierigkeiten eingeschränkt ist. Kraft gibt ihm stets seine Frau. In seiner Wohnung steht ein Altar, der ihr gewidmet ist. Jeden Morgen und Abend mache er eine Fürbitte für sie. Er bete auch für all die Irrläufer und verlorenen Seelen, damit sie auf den richtigen Weg zurückkämen. «Ich muss ja nicht für die beten, denen es schon gut geht», sagt er und ergänzt, die Geschichte vom verlorenen Sohn sei schon immer seine liebste gewesen.
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