Das Vorstädtli in Laupersdorf - ein Ort an dem sozial benachteiligte Menschen Zuflucht finden
Dichter Nebel liegt über dem Solothurner Jura, als ich am Dienstagmorgen das ehemalige Restaurant betrete, das nun das Generationenhaus Vorstädtli beherbergt. Drinnen empfängt mich Anna Ziegler, seit August die Leiterin dieser besonderen Einrichtung, zusammen mit ihrem Team und einigen Teilnehmenden. Gerade bereiten sie sich auf ihre tägliche Morgenrunde vor, in der es um die Aufgabenverteilung, organisatorische Anliegen und die Tagesplanung geht – und natürlich um eine gemeinsame Tasse Kaffee.
Bei einer Tasse Kaffee stelle ich mich den Anwesenden vor und erzähle, was mich heute hierherführt. Die Teilnehmer:innen sind es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen: Kürzlich erschien bereits ein Artikel in der Solothurner Zeitung, und Dani erzählt stolz, dass er sogar einmal in einem Film über das Vorstädtli mitwirkte. Seit sieben Jahren ist er ein fester Bestandteil des Projekts und hat hier viel Schönes erlebt.
Heute übernehmen Trix, Dani und Sven, in Zusammenarbeit mit den Betreuenden Tanja und Christina, die Wäsche, Gartenpflege und den Küchendienst. Herbstlaub sammelt sich noch überall und will zusammengefegt werden. Ein Höhepunkt des Tages ist immer die Vorbereitung und das gemeinsame Mittagessen. «Dienstags ist volles Haus,» sagt Anna, während wir uns für ein Gespräch zusammensetzen. Heute sind 16 Personen für das Mittagessen angemeldet – die absolute Obergrenze.
Auf einem Rundgang zeigt mir Anna die Räume des Hauses. Im Erdgeschoss befinden sich die Küche, der Aufenthaltsraum und der Zugang zum Garten – hier pulsiert das Leben des Vorstädtli. Die oberen Etagen bieten Rückzugsmöglichkeiten, wie einen Atelierraum für kreative Aktivitäten und einen Bewegungsraum. Besonders beeindruckt mich, dass die Teilnehmenden hier wirklich frei sind. Sie dürfen aktiv sein, müssen es aber nicht – ein einfaches Dasein, ohne Leistungsdruck, ist ausdrücklich erlaubt. Anna betont, dass dieser Freiraum ein enormer Mehrwert für die Menschen ist.
Im obersten Stockwerk finden sich die Büroräume, ein Spielzimmer für die Kinder, die den Mittagstisch besuchen, und ein Ruheraum, in dem sich Teilnehmende erholen können und das Team Pause macht. Dort lassen wir uns nieder, und Anna erzählt mir, wie sie ihren Weg nach Laupersdorf fand und was sie mit ihrer Arbeit hier erreichen möchte. Sie will das Vorstädtli weiter bekannt machen. Die flexible Struktur des Hauses bietet viele Freiräume und ermutigt zum Ausprobieren. Ihr medizinisches Know-how, Sie hat einen beruflichen Hintergrund in der Pflege, kann Anna im Alltag oft nutzen – so mancher Arztbesuch konnte schon vermieden werden. Die Teilnehmenden, die auf pflegerische Unterstützung angewiesen sind, sind bei ihr und ihrem Team, in guten Händen.
Das Team – bestehend aus Anna, Doris, Christina und Tanja – schaffen hier eine Atmosphäre der Nähe und Verlässlichkeit. Nach Wechseln in der Leitung ist Stabilität für die Teilnehmenden von grosser Bedeutung. Veränderungen werden mit Bedacht eingeführt, stets im Austausch mit den Beteiligten. Dieses Miteinander stärkt den Zusammenhalt.
Das tägliche Mittagessen, kostet für die Teilnehmenden zehn Franken. Wer bei den Arbeiten im Haus mithilft, kann sich Bons für eine Mahlzeit verdienen. Lebensmittel, die jede Woche von der Schweizer Tafel gespendet werden, werden zur Zubereitung der Mahlzeiten genutzt, und das Team achtet darauf, dass alle Anwesenden etwas mit nach Hause nehmen können – eine wichtige Unterstützung für viele, die wenig Geld zur Verfügung haben.
Eine grosse Stärke des Vorstädtli ist seine Flexibilität: Die Leute können sich spontan für das Mittagessen und das Tagesprogramm an- oder abmelden. Heute gibt es Würstchen im Teig mit Salat. Sven, der aufgrund einer Muskelkrankheit im Elektro-Rollstuhl sitzt, hilft beim Teigrollen – eine Aufgabe die er gut meistern kann. Die aktive Einbindung aller ist hier nicht nur ein Prinzip, sondern Alltag.
Für viele Teilnehmende ist das Vorstädtli mehr als nur eine Tagesstruktur. Die meisten haben ein sehr reduziertes, soziales Umfeld, weshalb dieser Ort für sie ein echtes Zuhause sein kann. Zum Mittagessen eingeladen, geniesse ich die Gemeinschaft und das leckere Essen.
Am Nachmittag verläuft der Tag individuell: Ich führe mit den Bewohnenden Trix, Dani, Walti und Alexandra tiefgehende Gespräche über Wünsche und Träume, während andere Kaffee trinken und den nächsten Gemeinschaftsnachmittag im Dorf planen. Die Wärme und Offenheit dieses Hauses bleiben mir in Erinnerung – ein Ort, der für viele mehr ist als nur eine soziale Einrichtung.
Trix
Kommt seit 2021 ins Vorstädtli. Aufgrund ihrer Arthrose hat sie oft Schmerzen und muss ihre Hände ein wenig schonen. Bald schon geht nämlich die Fasnacht los und in der Guggemusig Balsthal spielt Sie die Rassel/ Schelle. Dafür muss Sie fit sein, erzählt sie mir. Einer ihrer Söhne ist heute da, um bei Putzarbeiten zu unterstützen. Sie ist froh, sind die Menschen im Vorstädtli wie eine Familie, das gibt ihr Halt und Struktur im Alltag.
Dani
Ist der Teilnehmende, der die Institution am längsten schon kennt. Zu Hause hat er ein umfangreiches DJ-Setup und produziert 90er Jahre Technomusik. Das gibt ihm Halt und Lebensfreude. Er erzählt mir so einiges aus seiner Vergangenheit; dass er mal Clubbesitzer war und selbst als DJ auf einigen Events aufgelegt hat. Er ist ein Macher und mag es, wenn die Dinge erledigt sind.
Alexandra
Ist eine hochtalentierte ProCreate Spezialistin und zeigt mir ganz offen ihre Illustrationen. Ich arbeite mit demselben Programm und so haben wir einiges an Gesprächsstoff. Sie kommt aus Russland und ist fest mit ihrer Design-Community vor Ort verbunden. Folgt ihr auf Instagram @artisautistic für Inspirationen <3
Walti
Hat mal eine Kochlehre begonnen, darum unterstützt er oft in der Küche bei allem, was anfällt. Er ist ein bekennender Call of Duty Fan und sein 200 Zoll Oled Bildschirm ist sein Ein und Alles. Er hat viele Wünsche und Träume und fast eine ganze Stunde sprechen wir über alles was ihn bewegt.
Text und Fotos
Isabel ist ein Teil des Kommunikationsteams der Schweizer Tafel. Persönlich ist Sie neugierig und interessiert sich ausserordentlich für Gesprochenes und Geschriebenes und das unausweichliche Schicksal der Menschen.
Der Text entstand am Dienstag, 5. November 2024, anhand eines Besuchs im Vorstädtli in Laupersdorf, welches von der Schweizer Tafel wöchentlich mit geretteten Lebensmitteln versorgt wird.
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