«Dr Dorfgeist» in Bubendorf

Es ist Dienstagnachmittag, die freiwilligen Helfer:innen stellen im Schopf an der Hintergasse 1 Tische auf und rüsten die erhaltenen Lebensmittel. Die Lieferung der Schweizer Tafel wurde bereits am Vormittag entgegengenommen. Innerhalb einer Stunde stehen schön arrangierte Kisten voll mit Gemüse, Obst und hin und da auch Milchprodukten und kleinen Leckereien bereit. Ab 14.00 Uhr kommen die angemeldeten Bezüger:innen vorbei. Jetzt im Winter dürfen sie in einem beheizten Warteraum Platz nehmen, bis sie aufgerufen werden. Dann bezahlen sie CHF 2.00 und dürfen dafür im Schopf Lebensmittel beziehen. Mit den CHF 2.00 können die Ausgaben gedeckt werden. Für eine Bezugsberechtigung erhalten die Bezüger:innen entweder direkt vom Dorfgeist oder auf der Gemeinde ein Formular, dieses füllen sie aus und lassen es von der Gemeinde bestätigen. Danach erhalten sie einen Ausweis, den sie bei jedem Besuch vorweisen. Aktuell sind ca. 60 Personen angemeldet, davon 24 Familien, die von der Gemeinde oder dem Kanton Ergänzungsleistungen erhalten, und rund 36 ukrainische Flüchtlinge aus der nahegelegenen Asylunterkunft. Nicht alle Bezüger:innen kommen regelmässig vorbei. Jeden Dienstag darf der Dorfgeist zwischen acht und zehn Personen begrüssen.

Eine Idee mit einem guten Geist

Gaby Merten kam die Idee, ein soziales Angebot für Benachteiligte auszuarbeiten. Sie fragte ihre Studentinnen und Studenten an und das Interesse war gross. Mit zusätzlicher Unterstützung durch Matthias Gysel, der ebenfalls als Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz arbeitete, entstand ein Konzept einer Arbeitsgemeinschaft, die Langzeitarbeitslosen eine Tagesstruktur durch Beschäftigung bieten soll. Das Konzept wurde an verschiedene Gemeinden in der Region gesendet. Denn für die Umsetzung benötigten sie die Unterstützung einer Gemeinde. Die Gemeinde Bubendorf reagierte auf die Anfrage und bot als Standort für das Projekt den alten Polizeiposten an. Im nächsten Schritt holten Gaby und Matthias weitere Helfer:innen mit ins Boot. Die Gemeinde stellte dafür den Kontakt mit angemeldeten Sozialhilfebezüger:innen her. 14 Personen, die aus eigener Erfahrung die Bedürfnisse von Benachteiligten schildern konnten, wurden miteinbezogen. Für die Organisation wurde im Jahr 2014 der private Trägerverein ko-operativ gegründet. Doch das Projekt sollte unter einem anderen Namen agieren. Steve Hunsperger war einer der Sozialhilfebezüger und erinnert sich an das Treffen, als der Name Dorfgeist entstand. «So eine Idee, die hat doch einen guten Geist», hiess es in der Runde. Und so kam Steve der Gedanke das soziale Projekt «Dr Dorfgeist» zu nennen.

Der Polizeiposten diente leider nicht lange als Standort, denn die Räumlichkeiten wurden rasch zu klein. Die Gemeinde vermittelte dem Verein daraufhin ein leerstehendes Haus, aber auch dieses diente nur als Übergangslösung. Schliesslich wurde an der Hintergasse 1 eine 3-Zimmer Wohnung frei und der Vermieter freute sich auf seine neuen Nachbarn. Die Wohnung verfügt über einen kleinen Wartebereich/Aufenthaltsraum, ein Büro und ein Sitzungszimmer, welches auch als Ausstellungsraum für die selbstgemachten Produkte, wie Kerzen und Holzschnitzereien, dient. Ausserdem gehören ein Keller, in dem eine Kerzengiesserei eingerichtet wurde, eine kleine Werkstatt und ein Schopf, der seit dem Jahr 2018 das Dach für die Lebensmittelabgabe bietet, zu den Räumlichkeiten.

Eine Arbeitsgemeinschaft als Neuanfang

Der Dorfgeist finanziert sich zu 50% selbst. Als Einnahmequellen dienen selbstgemachte Produkte und diverse Dienstleistungen. Die Produkte werden auf Bestellung und am Weihnachtsmarkt verkauft. Besonders grossen Anklang finden die Adventskränze. Das Dienstleistungsangebot wird von den Teilnehmenden mitgestaltet und wechselt deshalb regelmässig. Dieser Gedanke ist für den Verein essenziell. Die Bezüger:innen sollen aktiv in die Arbeitsgemeinschaft integriert werden. Die dadurch entstehende Tagesstruktur bietet den Menschen Halt, sie sollen im Leben Fuss fassen können. Je nach Fähigkeiten und Interessen verrichten die Teilnehmenden für die Einwohner:innen der Gemeinde beispielsweise Garten- und Reinigungsarbeiten, verschiedenen Reparaturen oder unterstützen Betagte beim Einkaufen. Geleitet wird der Dorfgeist von Steve Hunsperger und seinem Stellvertreter Roland Müller. Beide beziehen Sozialhilfe und können sich gerade deswegen in die Menschen, die den Dorfgeist besuchen, hineinversetzen. Die Bezüger:innen brauchen oft eine gewisse Zeit, bis Vertrauen entsteht. Sobald das Vertrauen zu Steve und Roland aufgebaut ist, sprechen sie über ihre Situation und nehmen Ratschläge dankend an. Dank der Ausbildung zum Arbeitsagogen kann Steve sein Gegenüber geschult durch unangenehme Themen leiten und Sicherheit und Vertrauen bieten. Leider sprechen nur wenige Menschen über ihre Probleme, weil sie sich für Ihre Not schämen. Doch genau dann ist es wichtig, darüber zu sprechen, damit das Umfeld helfen kann, die Not zu mindern und im Idealfall Halt für einen Neuanfang bieten kann. Steve ist gelernter Zolldeklarant und arbeitete als Sicherheitswärter. Über die Jahre hatte er verschiedene temporäre Anstellungen und reiste für 14 Monate mit dem Fahrrad durch Südamerika. Als er in die Schweiz zurückkehrte, durchlebte er eine schwere Zeit. Deshalb schätzt er es heute sehr Teil des Dorfgeistes zu sein. «Trotz den «Auf und Abs» halten Rolli und ich den Laden am Laufen und helfen, wo wir können. Rolli ist der Handwerker und ich finde mich gut im Büro zurecht. Wir ergänzen uns gut», meint Steve lächelnd.

Nebst Steve und Roland sind aktuell acht bis zehn Ehrenamtliche für den Dorfgeist im Einsatz. Ohne ihre Mithilfe wäre das Projekt nicht möglich. Michael engagiert sich seit sechs Monaten im Dorfgeist und packt einen Tag pro Woche mit an. Steve und Rolli dürfen ihn jederzeit anrufen, wenn eine Hand fehlt. Wenn Michael nicht im Dorfgeist ist, ist er auf dem Fahrrad unterwegs oder geniesst die Zeit mit seiner Frau. Denn Michael, ein gelernter Gipser, arbeitet nicht mehr. Er hat vor 1.5 Jahren die Diagnose Krebs erhalten und möchte in der Zeit, die ihm noch bleibt, anderen Mitmenschen helfen.

Möchten auch Sie sich ehrenamtlich engagieren? Dann erkundigen Sie sich auf Ihrer Gemeinde nach sozialen Projekten, die Unterstützung benötigen. Oder melden Sie sich bei der Stiftung Schweizer Tafel.

Letzte Beiträge aus der Rubrik Einblicke

Drahtesel

Voller Vorfreude beisse ich in das Schokoladenguetzli neben meinem Kaffee: «Mmmh». Das Guetzli und viele weitere Angebote im ...

Al Oron t’aide

Als der Verein Al Oron t'aide im September 2019 zum ersten Mal seine Türen öffnete, holten fünf Personen ...

2023-01-30T13:00:23+01:00
Nach oben