Emmaus in Etagnières
Emmaus ist eine globale Bewegung, die Menschen zusammenbringt, die Ausgrenzung erleben oder sich gegen soziale Ungerechtigkeiten einsetzen. Die Bewegung zählt in 41 verschiedenen Ländern rund 425 Gruppen.
Die Schweizerische Emmaus-Vereinigung hat elf Sektionen. Drei der insgesamt sechs Wohngemeinschaften erhalten Lebensmittel der Stiftung Schweizer Tafel. Die Emmaus-Gemeinschaft in Etagnières wird beispielsweise von der Region Romandie beliefert. Das Gebäude ist eine ehemalige Mühle aus dem Jahr 1780, die zum Bauernhof nebenan gehörte. Da 1972 bereits Familien mit Problemen in der Region lebten, entschloss sich die Bauernfamilie, die Mühle als Emmaus-Wohngruppe anzubieten. Seit der Eröffnung, fährt jeden Tag an der Rue de la Combe 39 ein Lieferwagen vor und lädt etwa 5 Kisten mit Gemüse, Obst, Brot ab. Damien, Co-Leiter der Institution, erklärt uns: «Für das ganze Jahr verfügen wir leider nur über CHF 8’000.00 Budget für Lebensmitteln. Das ist etwa CHF 1.00 pro Person pro Tag. Eigentlich wären CHF 100’000.00 nötig, damit Mahlzeiten für Bewohnende und freiwillige Helfer:innen abgedeckt sind. Das Emmaus könnte sein Tagesgeschäft ohne die Lebensmittel der Schweizer Tafel nicht aufrechterhalten».
Die Institution verfügt über 21 Zimmer. Alle Betten der Wohngemeinschaft sind belegt. «Das waren sie schon immer. Seit es das Emmaus in Etagnières gibt, waren die Betten, wenn, dann nur für ganz kurze Zeit unbelegt. Es gibt leider mehr Obdachlose in der Schweiz, als viele vermuten. Wenn Personen uns nach einem Schlafplatz fragen, wir aber über kein freies Zimmer verfügen, erlauben wir ihnen, für ein paar Tage auf dem Sofa zu schlafen. Gemeinsam suchen wir dann nach Lösungen. Wir geben ihnen die Möglichkeit, sich bei Partnerorganisationen nach einem Platz zu erkundigen. Schwer ist es dann, wenn wir erfolglos sind und ihnen Kontakte von Notfallschlafstellen geben müssen», meint Damien.
Damien ist seit drei Jahren in der Organisation tätig. Wir fragen Damien, was ihm in der bisherigen Zeit besonders geblieben ist: «In den vergangenen drei Jahren hatte ich eine Fülle an bleibenden Erlebnissen. Prägend war, dass die Bewohnenden einst alle obdachlos waren. Wir können uns kaum vorstellen, wie hart das Leben auf der Strasse sein kann. Obdachlose, die dann zu uns kommen, haben wichtige Grundlagen in der Hygiene und für die Gesundheit vergessen: wie und warum man sich wäscht, wie viel und was man isst und wann der Körper Schlaf braucht. Nun stellt euch vor, nach beispielsweise zehn Jahren als Obdachloser wird einem gesagt, dass man ein eigenes Bett mit einem Dach über dem Kopf und zudem noch regelmässig Mahlzeiten erhält. Es gab schon viele emotionale Momente. Von einem Tag auf den anderen dürfen ehemalige Obdachlose langsam aufatmen. Der Dauerstress, wie man etwas zu essen bekommt und wo man heute Abend schlafen kann, fällt weg».
Der Emmaus-Gemeinschaft ist es wichtig, dass die Bewohnenden möglichst selbständig bleiben. Das heisst, jeder ist sein eigener Akteur im Leben. Bei Neuzugängen wird durch ein Gespräch herausgefunden, welches Wissen die Person mit sich bringt und wie dieses vorhandene Wissen in der Gemeinschaft eingesetzt werden kann. Dementsprechend werden die Ateliers zugeteilt. Eine Beschäftigung ist beispielsweise auch der Küchendienst. Noch bis vor einem Jahr haben die Bewohnenden selbständig in der Küche gekocht. Da dies eher chaotisch zu und herging, entschloss sich die Organisation einen Küchenchef einzustellen und ein Küchenprogramm zu gestalten. Gregor, der neue Küchenchef, organisiert die Wochenmenüs, was nicht immer einfach ist: «Die Menüplanung ist jeden Tag anspruchsvoll. Einerseits wissen wir nicht, was uns der Lieferwagen vorbeibringt, und andererseits arbeite ich in der Küche mit unausgebildeten Personen zusammen. Ich bin froh, dass ich zusätzlich auf freiwillige Helfer:innen zählen darf. Sie helfen mir, die Menschen daran zu erinnern, dass eine gesunde Ernährung wichtig ist. Obdachlose verlernen in den meisten Fällen, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, weil sie keine Möglichkeit dazu haben. Daher ist es mir enorm wichtig, die Bewohnenden zu sensibilisieren, dass Mahlzeiten aus frischen Produkten ihrem Körper Energie für den Tag geben. Bei uns ist fast alles hausgemacht. An meinen freien Tagen gibt es auch mal eine Tiefkühlpizza», ergänzt Gregor schmunzelnd.
Unser Stiftungs-Team durfte die Gemeinschaft an einem Team-Event im vergangenen Jahr besuchen und gemeinsam mit den Bewohnenden zu Mittag essen. Nach dem Essen gab es eine Führung durch die Institution. Angefangen hat die Führung im Garten. Hier wachsen Kräuter für die Küche und frische Eier gibt es aus dem eigenen Hühnerstall. Ein kleines Gartenhaus dient insbesondere im Sommer für Grilladen. Danach ging es zu den verschiedenen Ateliers, in denen fleissig sortiert, recycelt und wiederverwertet wird. Zu den Dienstleistungen des Emmaus zählen Wohnungsräumungen und das Depot. Während den Öffnungszeiten können Gegenstände direkt im Depot vorbeigebracht werden. Möbel und Elektrogegenstände, die noch in einem einigermassen guten Zustand sind, werden dann in den Ateliers repariert und wieder zurechtgemacht für den Laden. Nicht nur Möbel werden im Laden verkauft. Es gibt auch eine Kleider- und Textilabteilung mit Textilien aller Art. Zudem gibt es weitere Bereiche mit Geschirr, Deko, Büchern und DVDs. Also eine Fülle an Secondhand-Gegenständen.
Der Laden ist das Herzstück der Gemeinschaft. Denn die Institution ist zu 100% spendenfinanziert. Die Spenden reichen für den Unterhalt der Wohngruppe und der Ateliers nicht aus. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Upcycling-Möbel und Secondhand-Gegenständen decken einen Drittel der ganzen Kosten ab. Die meisten Einnahmen kamen früher vom Möbelverkauf. Heute sind es die Bücher und Textilien, die den meisten Umsatz bringen.
Eine andere Welt ist möglich, vorausgesetzt, dass jeder seinen Beitrag leistet und seinen Teil dazu beiträgt. (Auszug aus der Schlusserklärung der Weltversammlung Emmaus, 1999 – Orléans, Frankreich)
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