Mit einem Lächeln und viel Engagement

Wer bei Partage Riviera in Vevey Lebensmittel abholt, muss nicht anstehen. Dank einer einfachen IT-Anwendung erhalten die bedürftigen Menschen ihr eigenes Zeitfenster und können so in Ruhe ihre Lebensmittel aussuchen. Michel Botalla, Leiter der Institution, hat das Programm dafür eigenhändig entwickelt. Sein erklärtes Ziel «Die Leute sollen mit einem Lächeln rausgehen.»

Bei Partage Riviera summt es jeden Tag wie in einem Bienenkorb. Die Institution verteilt wöchentlich sieben bis acht Tonnen Lebensmittel an Bedürftige. 60 Freiwillige stehen dafür im Einsatz. Sie sortieren die von der Schweizer Tafel angelieferten Waren und verteilen diese. 500 Familien nutzen das Angebot aktuell. Sie erhalten etwa einmal die Woche ein Zeitfenster, in dem sie vorbeikommen können.

Dass die Logistik mit diesen enormen Mengen überhaupt funktioniert, ist nur dank engagierten Menschen möglich. Denn noch vor der Pandemie waren nur 100 Familien auf das Angebot von Partage Riviera angewiesen. Aufgrund der Pandemie und des Ukrainekrieges wuchs ihre Zahl in kürzester Zeit um das Fünffache. Auch die Zusammensetzung der Empfängerinnen und Empfänger hat sich verändert. «Früher waren es hauptsächlich Ausländer, Leute, die erst seit kurzem in der Schweiz waren», sagt Partage Riviera-Leiter Michel Botalla. Heute seien es schätzungsweise 40 Prozent Schweizerinnen und Schweizer sowie Menschen mit Bewilligung C. Michel sieht auch immer mehr junge Familien, alleinerziehende Mütter und ältere Menschen in der Lebensmittelabgabe.

Vom Unternehmer zum Leiter einer gemeinnützigen Organisation

Michel führte das Schicksal zu Partage Riviera. Er ist ausgebildeter IT-Ingenieur, einer der ersten, die diese Ausbildung in der Schweiz absolvierten. Er war selbstständiger Unternehmer und arbeitete 80 Stunden die Woche. 2009 verlor er alles. Er hatte Schulden und mit einem Burnout zu kämpfen. «Zum Glück hatte ich meine Tochter», erinnert er sich. Nur dank ihr habe er weiter gemacht und wegen ihr sei er damals, als er selbst auf der Strasse stand, auch in der Schlange von L’Etape gestanden. L’Etape war die Vorgängerinstitution von Partage Riviera. Sie ist seit 1997 in Vevey tätig und fusionierte vor drei Jahren mit Le Coup de Pouce in Clarens.

Michel stand also in der Schlange, um Essen bei L’Etape abzuholen, weil er für seine Tochter kochen wollte. «Für mich selbst hätte ich das nicht gemacht, es war mir peinlich», sagt er. Gerade in diesem Moment hatte die Organisation ein Informatik-Problem. Dieses konnte er innerhalb von fünf Minuten lösen. «Die Verantwortlichen fragten mich dann, ob ich als Freiwilliger hier arbeiten wolle», so der heutige Geschäftsleiter. Anfangs war er dafür zuständig die Warteschlangen zu betreuen. «Das war schwierig. Hier trafen unterschiedlichste Kulturen aufeinander und Menschen, die an ihrem Tiefpunkt waren. Es gab Spannungen und Gerangel um die Lebensmittel», sagt er.

Also schrieb Michel ein Programm, mit dem die Bedürftigen ein eigenes Zeitfenster per SMS erhalten. Damit sie in Ruhe gemeinsam mit ihrer Familie «einkaufen» können. «Ich wollte den Leuten damit ein Stück Würde zurückgeben», sagt er. Bei Partage Riviera vorbeizukommen, bedeute für diese Menschen 200 bis 300 Franken mehr Budget im Monat, und das sei viel Geld für sie. Michels Ziel ist, die Applikation auch anderen Institutionen zur Verfügung zu stellen. Dafür wurde die gemeinnützige GmbH Anabase gegründet. Jede Institution soll das Programm gratis nutzen können, vorausgesetzt es ist nicht zu einem gewinnbringenden Zweck.

Kein Shutdown bei Partage Riviera

Während der Pandemie zeigte sich einmal mehr, welch ein Glücksfall Michels System ist. «Alle anderen Abgabestellen haben während dem Shutdown zugemacht, aber wir haben weiterhin ausgeliefert. Auch weil ich wusste, wie wichtig das in diesem Moment war», sagt er und erinnert sich an ein Telefonat mit dem Leiter Romandie der Schweizer Tafel, Baptiste Marmier: «Wir haben gesagt, wir müssen weitermachen und am nächsten Morgen kam Baptiste selbst mit dem Lastwagen. Gemeinsam haben wir dann die Lebensmittel ausgeliefert.»

Überhaupt gehe es in seinem Berufsalltag hauptsächlich um Menschen, betont Michel. Nur mit engagierten Leuten funktioniere der Kreislauf vom Überfluss zu denen, die nichts haben. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Freiwilligen bei Partage Riviera. Viele von ihnen arbeiten Teilzeit, um einen halben oder einen Tag jede Woche Freiwilligenarbeit zu leisten. «Das ist doch fantastisch», sagt er. Ihm ist es wichtig, dass auch die Mitarbeitenden ihr festes Zeitfenster haben: «Sie sollen sich regelmässig sehen und ein Team werden.» Michel ist seit 2019 Geschäftsleiter von Partage Riviera. Ihm ist wichtig weiterhin auch in der Logistik mitzuhelfen. «Ich will dabei sein und mit den Menschen arbeiten. Darum mache ich schliesslich diesen Job», sagt er.

Gut organisiert, wenig Budget

Dank des motivierten Teams konnte die Organisation schnell auf den Bedarf der Geflüchteten aus dem Ukrainekrieg reagieren. Innerhalb einer Woche organisierten Michel und sein Team in Zusammenarbeit mit La Passerelle einen Verteiltag für ukrainische Familien. 150 von ihnen sind inzwischen registriert. Etwa 100 kommen jede Woche vorbei. Dies ist auch dank der Zusammenarbeit mit der Schweizer Tafel möglich, welche die Liefermengen erhöht hat.

Während die Logistik gut organisiert ist, platzt das Verteilzentrum von Partage Riviera aus allen Nähten. So gibt es zum Beispiel wenig Platz und keinen Kühlraum. Die Institution arbeitet mit wenig Geld. «Wir sind effizient und versuchen trotz kleinem Budget die Waren für die Leute schön anzuordnen», so Michel. Während der Pandemie habe es eine Welle der Solidarität gegeben, da seien viele zusätzliche Spenden zusammengekommen. Nun sehe es aber wieder anders aus. «Dieses Jahr können wir dank den Spenden in der Vergangenheit noch decken, aber nächstes Jahr muss etwas passieren, damit wir die hohe Nachfrage weiterhin decken können», sagt er.

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