Ein Besuch bei der Lebensmittelabgabe der Vineyard Kirche in Olten – Dienst am Nächsten
Es ist Dienstagmorgen, kurz nach acht. Vor der Vineyard Kirche in Olten herrscht geschäftiges Treiben. Ein Lieferwagen fährt vor, freiwillige Helfer:innen packen mit an, laden Kisten aus und sortieren Lebensmittel. Es sind Brot, Gemüse, Früchte, Getränke – Lebensmittel, die sonst im Abfall gelandet wären. Doch hier, im Rahmen des Programms «Dienst am Nächsten» (DaN), bekommen sie noch eine Chance: Sie landen in den Lebensmitteltaschen für bedürftige Menschen.
Rund 170 Familien erhalten hier wöchentlich Unterstützung – insgesamt werden um die 1.500 Kilogramm Lebensmittel verteilt. Als ich Mirjam treffe, laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren. Rund 15 bis 20 freiwillige Helfer:innen sind im Einsatz, um die Lebensmittel zu sortieren, die Taschen zu packen und für die Bezüger:innen da zu sein. Bis zum frühen Nachmittag müssen rund 320 Taschen gefüllt sein. Jede Tasche enthält eine Mischung aus Grundnahrungsmitteln: Brot, frisches Gemüse, Früchte, manchmal Joghurt oder Käse, gelegentlich auch Hygieneartikel. Die geretteten Produkte werden von der Schweizer Tafel aus mehreren Regionen angeliefert. Bereits montags bringt ein Transport aus dem Aargau 80 Kisten mit geretteten Lebensmitteln, dienstags kommen nochmals etwa 60 Kisten aus den Regionen Mittelland und Aargau dazu.
«Wir haben über die Jahre gelernt, genau abzuschätzen, wie viel in eine Tasche kommt», erzählt Mirjam Pini, die Leiterin des Projekts. Sie koordiniert die Abläufe und sorgt dafür, dass alles reibungslos funktioniert. Die gelernte Laborantin ist mit 20 Prozent bei der Kirche angestellt und bringt Erfahrung aus der Kinder- und Jugendarbeit mit – eine wertvolle Grundlage für die vielseitige Arbeit, die hier geleistet wird. Seit der Corona-Pandemie läuft die Verteilung nach einem ausgeklügelten System: Die Bezüger:innen erhalten draussen eine Nummer, drinnen können sie bei Kaffee und Gebäck warten, bis ihre Nummer aufgerufen wird. Die Atmosphäre ist ruhig und respektvoll. «Viele kommen nicht nur wegen der Lebensmittel, sondern auch, um einfach mal ein paar Worte zu wechseln», erzählt Lydia, die Pfarrerin der Vineyard Kirche.
Neben der Lebensmittelverteilung bietet DaN auch Deutschkurse für Frauen an. «Unsere Arbeit endet nicht mit dem Verteilen von Brot und Gemüse», sagt Miriam. «Wir möchten soziale Isolation durchbrechen und Menschen auf ihrem Weg begleiten.» Die Nachfrage wächst stetig, doch die Kapazitäten sind begrenzt. Trotz aller Bemühungen gibt es derzeit einen Aufnahmestopp für neue Bezüger:innen.
«Wir hoffen, bald wieder mehr Menschen aufnehmen zu können», sagt Miriam. Doch selbst unter diesen Umständen bleibt die Grundidee bestehen: Jeder Bezug kostet lediglich einen symbolischen Betrag von 1 CHF – ein Zeichen der Wertschätzung, das zudem von Vineyard direkt weitergespendet wird. Das Team der Freiwilligen ist bunt gemischt. Einige engagieren sich neben ihrer regulären Arbeit, andere sind bereits pensioniert. Einige Helfende kamen sogar als Bezüger:innen zur Lebensmittelabgabe – und blieben, um später selbst mitzuhelfen. Ein gemeinsames Mittagessen für das Team, das selbst gekocht wird, gehört zum Tagesablauf – ein kleines Ritual, das den Zusammenhalt stärkt.
Um 15:45 Uhr endet die Abgabe. Die Kirche leert sich, die letzten Taschen wechseln den Besitzer. Zurück bleibt das Gefühl, dass hier nicht nur Lebensmittel verteilt wurden, sondern auch Menschlichkeit. DaN Olten beweist Woche für Woche, dass kleine Gesten Großes bewirken können. In einer Gesellschaft, in der Armut oft unsichtbar bleibt, schafft dieser Ort eine Gemeinschaft, die niemanden allein lässt. Und vielleicht liegt genau darin die wahre Bedeutung von «Dienst am Nächsten» – in der einfachen, aber kraftvollen Geste des Teilens.
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