René – Alkohol war meine Zuflucht
Es ist Montag, 7.30 Uhr und René sitzt in der Produktionswerkstatt des Töpferhaus Aaraus. Er ist dabei, die Sandwiches für den heutigen Tag zu streichen. Danach widmet er sich dem Abfüllen von Gewürzsäcken, dem Rüsten von Gemüse und was sonst noch in der Küche ansteht. Er macht seine Arbeit gerne und hat stets ein Lächeln im Gesicht. «Ich mag es, Menschen in meiner Nähe zu haben. Ich bin ein geselliger Typ», meint René. Um 12.00 Uhr fährt die Schweizer Tafel fährt mit ihrem Lieferwagen vor. René packt mit an und bringt die Lebensmittel nach drinnen. Nach dem Mittagessen sortieren er und eine Arbeitskollegin die erhaltene Ware. Salat und Gemüse wird sogleich für den nächsten Tag vorbereitet.
Seit rund sechs Jahren arbeitet und wohnt René in der Anlage der Stiftung. Er erinnert sich: «Als ich mich vor fast sechs Jahren für einen Platz beworben habe, hatte ich den tiefsten Punkt meines Lebens bereits überwunden. Ihr müsst wissen, dass ich nach einer zehnjährigen Anstellung meinen Job als Logistiker verloren habe und danach keine neue Stelle mehr fand. Meine Wohnung musste ich wegen ausbleibendem Lohn aufgeben. Zum Glück durfte ich eine Zeit lang bei meinen Eltern unterkommen. Mit fast 50 zurück zu den Eltern zu ziehen, das war hart. Mich hat die ganze Situation sehr belastet. Was sollte ich mit meinem Leben noch anfangen? Ich wusste nicht weiter. Leider geriet ich dann noch in ein Umfeld, das mich weiter herunterzog, ich traf die falschen Freunde und rutschte in den Alkohol ab. Damals ging es mir sehr schlecht. In einem guten Moment beschloss ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Das war nicht einfach. In jener Zeit verstarb auch mein Vater und meine Mutter musste bald ins Altersheim ziehen. Wo sollte ich dann hin?»
René hatte unterdessen einen Beistand erhalten. Er setzte sich zum Ziel, vom Alkohol loszukommen. Das schaffte er ohne weitere auswärtige Unterstützung. Als es ihm gesundheitlich besser ging, nahm er die nächste Etappe in Angriff.
«Per Zufall hörte ich von einer Organisation mit dem Namen Töpferhaus Aarau. Die Stiftung würde Arbeit und Wohnraum anbieten für Menschen wie mich, die ohne Perspektive sind. Ich war schon etwas nervös, als ich mich schliesslich an der Bachstrasse 117 in Aarau vorstellen durfte. Als sie mir dann die Zusage gaben, dass ich in eine der WGs einziehen durfte, fiel mir eine grosse Last von den Schultern. In den ersten Monaten teilte ich eine Wohnung mit einem Jugendlichen. Das war in Ordnung für mich. Später wurde ein Studio frei, so hatte ich wieder eine eigene Wohnung. Zudem erhalte ich eine auf mich zugeschnittene Betreuung», erklärt René.
Mit einem Grinsen fährt er fort: «Ich arbeite nun 60% in der Produktionswerkstatt der Küche. Das Team ist mit mir zufrieden. Die gelebte Du-Kultur, also der persönliche Umgang auf Augenhöhe, stärkt auch mein Selbstbewusstsein. Ich hoffe, dass ich noch bis zur Pensionierung bleiben darf. Mit meinen 61 Jahren hätte ich auf dem Arbeitsmarkt auch kaum noch Chancen. Jeder im Team hat seine eigene Vorgeschichte. Wir ermutigen einander und wissen, dass wir nicht allein sind», meint er.
René betont, dass er Glück hatte, in kurzer Zeit vom Alkohol loszukommen. Er steckte noch nicht zu lange im Dilemma drin. Jedoch gibt es andere, die weniger Glück haben und schon zu lange unter einer Alkoholerkrankung leiden. Er wünscht sich, dass jene Personen den Mut finden, um nach Hilfe zu fragen. Der Alkoholmissbrauch findet oft im Verborgenen statt und Betroffene schämen sich für ihre Abhängigkeit. Sich Hilfe zu holen und sich auch helfen zu lassen, bedarf einer enormen Überwindung. Laut dem Bundesamt für Statistik sind schätzungsweise 250’000 bis 300’000 Personen in der Schweiz alkoholabhängig. Viele der betroffenen Personen sind zusätzlich auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Die Stiftung Schweizer Tafel beliefert viele Lebensmittelabgabestellen, die für Suchterkrankte eine beständige Stütze im Leben bieten.
Helfen Sie mit und machen Sie Lebensmitteln für Menschen in Not zugänglich.
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